Flotte Rollstuhl-Veteranen
Es gibt fast gar nichts, was nicht irgendwann die Leidenschaft in Sammlern weckt, jedoch die Liebe zu alten Krankenfahrstühlen ist wohl nicht so oft zu finden.
Hin und wieder steht ein einzelnes solches Vehikel in einer Fahrzeugsammlung oder in einem Museum; oft in hinterster Ecke oder verstaubt und unbeachtet im Fundus.
Angesichts chromblitzender Oldtimer scheinen Krankenfahrstühle ein Dornröschendasein zu führen, was meiner Meinung nach einer dringenden Änderung bedarf. Als Orthopädiemechanikermeister (meinem gelernten Beruf) habe ich freilich ein anderes Verhältnis zu diesen Fahrzeugen – und es sind in der Tat Fahrzeuge. Man kann auch sagen, eines der vielen interessanten Kapitel der Verkehrstechnik.
Nicht erst als das Rad erfunden wurde, sondern schon viel früher gab es Transportgeräte für behinderte Menschen. Die einfachste Möglichkeit neben Tragen und Sänften waren primitive Rollbretter und später auch Sack- und Schubkarren. Uralte Zeichnungen, Schriftstücke sowie prähistorische Funde beweisen dies. Dem menschlichen Erfindungsgeist sind zur Perfektionierung auch auf diesem Gebiet keine Grenzen gesetzt.
Mit einem beachtlichen Reichtum an Ideen haben sich Tüftler aller Epochen, oft die Behinderten selbst Gedanken dazu gemacht. Bis zur Erfindung von Elektro- bzw. Verbrennungsmotoren handelte es sich um Schiebestühle oder Selbstfahrer, also muskelkraftbetriebene Fahrzeuge. Als Kind habe ich noch erlebt, wie sich Kriegsamputierte von Hunden, Ziegen oder anderen Haustieren haben ziehen lassen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Die technische Vielfalt an „Invalidenfahrzeugen“, wie man sie damals nannte (heute Sammelbegriff „Rollstühle“), ist unglaublich groß. In ihrem Erscheinungsbild waren sie natürlich an den jeweiligen Zeitgeschmack bzw. Mode angepasst. Prunkvolle geschnitzte und reich verzierte Zimmerrollstühle der Herrscherhäuser, beispielsweise des Barock oder Empire, legen dafür ein Zeugnis ab. Wollte man die historische Entwicklung des Rollstuhls lückenhaft bis in die Neuzeit dokumentieren, würde die Fläche des Deutschen Museums bei weitem dafür nicht ausreichen.
Als begeisterter Kleinwagen- und Rollersammler sind für mich diese Vehikel liebenswert skurrile Fahrmaschinen. Es macht mir Freude sie in einer Scheune aufzustöbern und die Motoren, nach oft sechzigjähriger Stilllegung, wieder zum Leben zu erwecken.
Des Weiteren bereitet es mir Vergnügen, sie zu fahren, was oft einem Abenteuer gleicht. Die meisten Rollstühle sind ja auf die jeweilige Behinderung individuell abgestimmt worden. Da es sich häufig um Versorgungen für Gelähmte und Amputierte der unteren Extremität handelt, fehlt jegliche Fußbedienung, es ist also alles auf Handbedienung eingestellt. Das bedeutet, dass man beim Fahren höllisch aufpassen muss, den richtigen Hebel zur rechten Zeit zu erwischen. Dadurch wird jede Fahrt zur Herausforderung.
Die Hubräume der Ilo- oder Sachs-Zweitakter liegen in Deutschland in der Regel zwischen 50 und 250 ccm. Die Leistung reicht etwa bis 14 PS, was beachtliche Geschwindigkeiten bis 85 km/h bedeutet.
Besonders Rollstühle mit kleinem Hubraum leisteten damals einen großen Beitrag zur Mobilisierung körperlich behinderter Menschen. Zum Führen genügten, auch heute noch, Mopedführerschein und Versicherungskennzeichen.
In meiner Sammlung befinden sich zurzeit ca. 40, vorwiegend motorisierte Rollstühle.
Fahrzeuge der Firma Meyra aus Vlotho in der Nähe von Bad Oeynhausen, einer der größten Hersteller der Welt, sind am häufigsten vertreten und werden auf einer separaten Seite vorgestellt.
Neben den Meyra-Fahrzeugen befinden sich in meinem Museum Fahrzeuge folgender Firmen:
- Albrecht, Berlin
- Deutsche Orthopädische Werke (DOW), Berlin
- Fahrzeugbau Franz Klingler, Innsbruck
- Grewe-Schulte-Derne, Lünen
- Hurst, Stuttgart / Mannheim
- Köhler und Cie, Heidelberg
- Petri und Lehr, Offenbach
- Erste Oeynhauser Krankenfahrzeugfabrik Hermann Voltmann, Bad Oeynhausen
Nachdem in neuerer Zeit PKWs für Körperbehinderte umgerüstet werden (z.B. durch die Firma Zawatzky, Meckesheim), scheinen kleine führerscheinfreie Autos mit 50 ccm eine Renaissance zu erleben.
Albrecht Dreirad
- Hersteller: Friedrich Albrecht Motorfahrzeuge Berlin
- Baujahr: 1956
- Motor: Sachs
- Hubraum: 48 ccm
- Getriebe: Zweigang
- Leistung: 2,7 PS
Nach einem 55-jährigen Dornröschenschlaf auf einem Dachboden, wurde diese Rarität 2013 wachgeküsst. Da der Motor wenig gelaufen, und merkwürdigerweise nicht fest korrodiert war, konnte er sofort, nach den üblichen Wartungsarbeiten, zum Leben erweckt werden. Die Karosserie bedurfte lediglich einer einfachen Auffrischung. Dadurch konnte der schöne Originalzustand erhalten bleiben. Das Anlassen erfolgt über den linksseitigen Riemenzug, quasi durch den umfunktionierten Kickstarthebel auf Handbetrieb.
Der rechte Stockhebel dient der Fortbewegung per Muskelkraft. Auch so kann das Fahrzeug angelassen und rückwärts gefahren werden.
Carters (J&A) Ltd. London Elektro-Rollstuhl
- Baujahr: ca. 1948
- Zustand: Unrestaurierter Originalzustand
- Motor: 24-Volt-Gleichstrommotor.
Aus Kostengründen wurde bei den meisten Rollstühlen nur ein Hinterrad angetrieben. Obwohl sehr schmalspurig, hat dieser Rollstuhl einen senkrecht stehenden Motor, der mit einem Differenzial eine Einheit bildet. Er ist voll fahrbereit und wirkt durch seinen Dachaufbau wie eine Pferdekutsche aus dem 19. Jahrhundert. Nach provisorischem Einbau zweier normaler 12 Volt Autobatterien schnurrte er sofort geräuschlos. Phänomenal, dass das nach jahrzehntelangem Dornröschenschlaf und in diesem Zustand möglich war!
Mit dem rechten Hebel wird die Geschwindigkeit über Widerstände mittels Schleifkontakten geregelt. Zieht man den Hebel nach hinten, kommt man in den Bremsbereich. Mit der linken Hand wird direkt gelenkt. Welch ein Kontrast zu den modernen, Mikroprozessor-gesteuerten Hightech-Rollstühlen!
Dieser pferdekutschenähnliche Carters dürfte der einzige in Deutschland sein, er ist auch in England eine große Rarität. Es bleibt die Frage, ob man ihn in diesem Zustand belässt oder restauriert — viele Museen (und auch ich) neigen heute zum Konservieren der Patina.
Fa. Grewe-Schulte Derne
- Hubraum: 200 ccm
- Besonderheiten: 2 Sitzplätze
- Zustand: restauriert
- Hubraum: 50 ccm
- Höchstgeschwindigkeit: 30 km/h
- Zustand: Originalzustand
Klingler-Dreirad
- Baujahr: 1965
- Hersteller: Fahrzeugbau Franz Klingler Innsbruck
- Motor: Rotax Zweizylinder Zeitakt
- Hubraum: 400 ccm
- Leistung: 15 PS
- Besonderheiten: 4-Gang Getriebe
Äußerst solides Fahrzeug mit zahlreichen technischen Finessen, wie Öldruck-Bremsanlage, Speichenräder, Telegabel im Ölbad, Heckteil komplett aufklappbar. Aufwändiger Chromzierrat.
Krause DUO 4/1
Der Krause Duo (Firma Krause, Leipzig) dürfte der derzeit bekannteste Krankenfahrstuhl sein, der in der damaligen DDR auch als normaler billiger PKW eingesetzt wurde. Die Abbildung zeigt einen Krause DUO 4/1 Baujahr 1983 in sehr schönem Originalzustand. Ein Krause Piccolo (möglichst Doppelsitzer) fehlt noch in der Sammlung.
Velorex
Ähnliche Verbreitung fand der Velorex in der ehemaligen CSSR, ein Vertreter der schnellen autoähnlichen Krankenfahrstühle.
Mit seinem 350 ccm, 2-Zylinder Jawa-Motor läuft er locker 85 km/h und vermittelt ein irrwitziges Fahrvergnügen.
Voltmann Westfalia Elektro-Rollstuhl Typ E 48
- Baujahr: 1968
- Antrieb: 36 Volt Gleichstrommotor
- Höchstgeschwindigkeit: 10 km/h
- Zustand: Originalzustand
Die Firma „Erste Oeynhauser Krankenfahrzeugfabrik Hermann Voltmann“ aus Bad Oenhausen wurde 1871 von Hermann Voltmann gegründet. Dieser Typ E 48 befindet sich im unrestaurierten Originalzustand! Sechs 6-Volt Bleiakkumulatoren mit je 60 Ah sorgen für drei 12 Volt Fahrstufen.
Der rechte Hebel nach vorne gedrückt ist gleichzeitig „Gas“- und Bremshebel. Von Elektronik weit entfernt, wird die Geschwindigkeit von max. 6 km/h über massive Messingschleifkontakte gegegelt. Durch einfaches Umpolen kann rückwärts gefahren werden.
Auf mich wirkt das Fahrzeug wie ein voluminöser Wohnzimmersessel auf Rädern. Der Rahmen ist solide aus stabilem Stahlrohr gefertigt. Drei mächtige Blattfedern, zwei in Längsrichtung, eine quer, sorgen für komfortables Vorankommen. Gelenkt wird über Kette auf die Hinterräder. Der Lenkhebel kann zum barrierefreien Einsteigen nach oben geklappt werden.
Als er vor 30 Jahren in die Sammlung kam, waren die Batterien noch aufladbar und ich konnte mit dem Rollstuhl fahren. Mit der hinteren, gepolsterten Kiste hat es eine mehrfache Bewandtnis. Sie dient als Werkzeugkasten, dem Verstauen von eingekauften Kleinigkeiten und diversen Utensilien. Noch heute entströmt ihr beim Öffnen deutlicher Baldriangeruch. Der Mitfahrer schaute übrigens nach hinten, und hatte damit den Nachfolgeverkehr bestens im Blick.